Nie wieder

Erika Hoffmeister, ca. 1932

Meine sehr geliebte, wunderbare Großmutter im Alter von vielleicht 17 Jahren, also etwa 1932. Da lebte sie noch in dem Berlin, nach dem ich paradoxerweise heute oft eine so große Sehnsucht habe. Im gleichen Jahr hat sie sich mit meinem Großvater verlobt, der Pfarrer höchstselbst schenkte den beiden zwei Jahre später eine Ausgabe von „Mein Kampf“ zur Hochzeit. Mein Großvater, als Junge noch in einem wilhelminischen Internat gedemütigt, hatte sich geschworen, sich nie wieder anbrüllen zu lassen und nie wieder aus dem Blechnapf zu fressen. Beides musste er im Krieg wieder tun.Das ganze Leben meiner Großmutter war später auf die eine oder andere Weise von Nationalsozialismus und Krieg geprägt, vernarbt, zerrissen. Sie hätte gern einen ganzen Stall voll Kinder gehabt, aber mein Großvater kam als traumatisierter, schweigender Mann aus dem Krieg, meine Mutter blieb das einzige Kind. Dutzendfache Vergewaltigungen nach Kriegsende, später Schuldzuweisungen gegen sie als Frau, die ja offenbar „mitgemacht“ hat. Eine ganz normale Biographie dieser Zeit also. Die Gespenster kamen wieder, als sie in hohem Alter zunehmend verwirrt war. Sie rief uns manchmal an, um uns vor den Soldaten zu warnen – wir sollten uns verstecken. Aber trotz allem erlebten Schrecken, sie war zu den Zeiten, als sie mich noch bei vollem Bewusstsein aufwachsen sah oder den Beginn meines Studiums verfolgte, eine glückliche Frau, auch und vor allem, weil sie zu wissen glaubte, dass nichts von dem, was ihr passiert war, mir oder sonst jemandem in Deutschland jemals wieder passieren könnte. Das stimmt nicht. Menschen haben wieder Angst in Deutschland. #niewieder

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