#allesdichtmachen und die Folgen

Ich bin genervt. Genervt von #allesdichtmachen, genervt von vielen Reaktionen darauf. Ich habe keine Ahnung, was die Teilnehmer*innen der Aktion dazu bewogen hat, teilzunehmen. Ich finde die Videos, die ich gesehen habe, doof und schlecht gemacht, unsympathisch. Es ist aber eigentlich auch weitestgehend egal, ob es 50 weitere unüberlegte Statements zur Pandemie gibt oder nicht.

Es ist auch völlig irre, dass dieser SPD-und-Rundfunkrat-Mensch danach dazu aufruft, diese Schauspieler nicht mehr zu engagieren. Er „geht jetzt in sich“, hat er laut „Freitag“ auf irgendeiner Plattform gesagt. Soll er mal machen.

Was ich an der Aktion am schlimmsten finde, ist, was sie der Theater- und Filmzunft für einen unfassbaren Bärendienst erwiesen hat. Viele Kommentatoren zerlegen nun genüsslich, dass man eben Schauspieler auch nicht nach Dingen fragen soll, für die sie kein Textbuch haben, denn, haha, die sind halt immer ein bisschen doof und machen alles mit, wofür sie Aufmerksamkeit bekommen. Auch die allseits beliebte Bezeichnung „Schausteller“ wird wieder verwendet, denn man zieht ja durch die Lande und macht irgendwelches Gedöns, das jetzt auch nicht wirklich als Arbeit zu bezeichnen ist. Absurd natürlich der Gedanke, dass Film- oder Theaterkünstler auch außerhalb des Films oder Theaters gehört werden sollten. Sie sind überempfindliche, tendenziell faule Hofnarren mit einem hochsubventionierten Hobby, die den wertschöpfenden Teil der Gesellschaft bitteschön zerstreuen und ansonsten die Schnauze halten sollen. Ich gebe zu, dass ich polemisch zuspitze, aber es stimmt: Das ist die Grundhaltung, die in meinen nunmehr 16 freiberuflichen Jahren auf den verschiedensten Positionen in diesem Bereich immer wieder in Gesprächen durchscheint. Und ich habe mich dem immer wieder ausgesetzt, wissend, dass ich die wunderbarsten Menschen in diesem Umfeld kennenlerne. Menschen, die in der Tat empfindsamer sind als andere, die mehr Antennen haben, mehr wahrnehmen und daher eben auch mehr zu erzählen haben. Ich habe auch eitle Arschgeigen kennengelernt, aber vermutlich nicht mehr als ich in einem BWL-Umfeld kennengelernt hätte.

Ich habe mich gefreut, dass jetzt in der Pandemie von etlichen früheren Gesprächspartnern auf einmal der Gedanke kam, dass ihnen tatsächlich etwas fehlt, wenn sie nicht mehr ins Theater/Varieté/sonstwohin können. Da keimte eine wirkliche Achtung vor diesen Berufen, ein echtes: Mensch, schon kacke, wenn die nicht mehr da sind. Das ist jetzt wieder verschwunden, siehste, sagt man sich schulterklopfend, doch alles Pappnasen.

So viele Menschen, die ich kenne, arbeiten ihr ganzes Leben lang gegen diese Zurückweisung an. Sie spielen sich auf der Bühne die Seele wund, sie wollen als Regisseur*innen mit ihren Geschichten Leute bewegen, die Welt verändern. Sie haben enorm viel zu sagen. Und das wollen dank #allesdichtmachen jetzt wieder noch weniger Leute hören.

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